EinsteinWiki/Lillies oder Luftikus

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„Hast du Klarheit für dein Leben gefunden“, begrüßten die Lilien Aron am nächsten Morgen. Dabei wiegten sie ihre Blätter. „Es war so kompliziert.“ „Meine Traurigkeit kann geheilt werden, wenn ich herausfinde, wovon mein Herz träumt“, beeilte sich Aron den Lilien zu erklären.

„Du bist der Herrscher. Ist das nicht ein Traum?“, wollten die Blumen wissen. „Es ist der höchste Stand. Aber nicht mein Traum. Die Verantwortung ist groß. Ich bin noch klein“, ärgerte sich Aron zum hundertsten Mal. „Nubien ist das Land der goldenen Sonne. Wir verehren die Sonne so, wie uns das Gold heilig ist, denn Gold ist die Farbe der Sonne. Es gibt sogar Gelehrte, die behaupten: Das Licht der Sonne ist das Gold des Lebens. Aber Gold wiegt schwer.“ Die Blumen nickten verständnisvoll mit den Köpfen. „Du willst dich leicht fühlen aber die Zukunft Nubiens liegt auf deinen Schultern.“ „Es ist schön, mit euch zu reden und jeden Morgen erfreut ihr mein Herz“, bedankte sich der Prinz, dem die Worte der Lilien wie Balsam für seine Seele erschienen. Ihnen musste er nie etwas erklären. Sie verstanden die Sprache seines Herzens. Deshalb benahm sich Aron sehr höflich gegenüber den Blumen, was den Wind natürlich herausforderte, denn er belauschte wie immer das Gespräch. Beleidigt heulte der Wind auf. Er wollte zwar friedlich mit den Lilien leben, aber irgendwie hatte er so seine Schwierigkeiten damit. Und weil er den Lilien kein Bein stellen konnte, damit sie darüber stolpern mussten, versetzte er ihnen aus purer Eifersucht einen Schubs. Die Blumenelfen kegelten aus den Blütenkelchen und landeten direkt vor den Füßen des Prinzen. „Was war das denn?“, erschrak der Prinz.

„Das reicht uns jetzt, du aufgeblasener Wichtigtuer“, regten sich die Lilien richtig auf. Sie ließen ihre Blütenkelche wie lange Hälse nach unten hängen und hoben die armen Elfen auf, die ganz verstört mit den Händen nach den Blütenrändern griffen. „Das war das letzte Mal. Lass deine Gemeinheiten woanders aus und hau bloß ab, sonst wird dir was blühen. Dann bekommst du es mit unseren Verwandten den Schwertlilien zu tun“, drohten die feinen Stimmchen der Lilien. „Lass dich hier nie wieder blicken und schon gar nicht zu unseren Füßen.“ So hatte der Prinz die Lilien noch nie erlebt. Aber der Wind konnte es einfach nicht lassen und stänkerte weiter: „Ich bin ein Schlawiner. Euer ergebener Diener.“ Dann lachte er schallend über seinen Witz. Als er aber merkte, dass die Lilien vor Ärger fast platzten, wurde ihm bewusst, dass er einen Schritt zu weit gegangen war und streichelte und umschmeichelte die Blüten und Blätter mit einer lauen Brise, die wie eine Melodie klang: Lillies, ihr honigsüßen Lillies. Es war seine Art der Entschuldigung. Und tatsächlich dauerte es nicht lange und er hatte die aufgebrachten Blumen wieder beruhigt.

Prinz Aron wollte sich nicht jedesmal in den Zank einmischen, deshalb wandte er sich dem Wind genauso höflich zu wie den Lilien: „Ich grüße dich, du Weitgereister. Ich bin auf der Suche nach Zeichen für meinen Lebensweg“, sprach Aron den Wind mit der nötigen Verehrung an. Ihm lag viel daran, den Wind bei Laune zu halten, denn auch er konnte ein guter Berater sein. Natürlich nur, wenn er wollte und sich seine Luftgeister nicht gerade in dicke Luft hineinsteigerten. „Zeichen, Zeichen“, regte sich der Wind schon wieder unnütz auf. Dass er immer gleich so aufbrausen musste. „Zeichen gibt es überall. Sie zu erkennen liegt im Auge des Betrachters. Aber bevor die Zeichen für dich sichtbar werden, begib dich ins Tal der Tränen. Dort wirst du erkennen, warum diese Erfahrung für dich wichtig ist.“ Aron war schwer beeindruckt von der Klugheit des Windes. Der Prinz erkannte, dass man nur deshalb so viel wissen konnte, wenn man in der Welt herumgekommen war.

„Nie in meinem Leben habe ich vom Tal der Tränen gehört, aber ich werde deinen Rat befolgen. Dafür danke ich dir.“ Was war nur mit Aron los? Oft vergaß er zu grüßen und heute bedankte er sich schon zum zweiten Mal. Dem Wind schwoll die Brust. Mit einem wichtigtuerischen Blick zu den Lilien blähte er sich noch einmal auf, bevor er sich legte, um auszuruhen. „Dieser kleine Prinz ist wirklich unerfahren“, sorgte sich der Wind um Aron. „Ich werde ihm beistehen, so gut ich kann, auch wenn er die Lilien zuerst begrüßt. Er überlegte weiter: „Als Kofur mich auf dem dritten Turm gefangen hielt, war es der Prinz, der mich befreite. Er sorgte dafür, dass Kofur abstürzte und sich das Bein brach. Das wird der Dämon Aron nicht vergessen. Ich werde dem Prinzen ins Tal der Tränen folgen, so ist er nicht auf sich allein gestellt. Man kann nie wissen, wann das Böse auftaucht.“ Der Sonnenprinz rannte in den Palast. Er befahl dem Minister für Samt und Seide, die Ausgehstiefel bereitzuhalten. „Wohin des Wegs“, wollte der Minister wissen. „Zum Tal der Tränen“, erwiderte Aron. „Das hört sich weit an. Wären Pferd und Kutsche nicht angemessener?“, erkundigte sich der Minister. „Ich kenne den Weg nicht“, erwiderte der Sonnenprinz. „Das ist etwas anderes. Ich lasse sofort die Stiefel bringen“, beeilte sich der Minister. Als Aron seine blank geputzten Ausgehstiefel mit den silbernen Sporen angezogen hatte, befahl er den Stiefeln: „Zum Tal der Tränen.“ Die Stiefel waren sehr praktisch. Man brauchte nur die Hacken zusammenzuschlagen und den Ort zu benennen und schon ging es los. Sie kannten jeden Weg. Kam der Sonnenprinz an eine Kreuzung, musste er nicht entscheiden, welche Richtung einzuschlagen sei. Die Stiefel irrten sich nie. Sie liefen und liefen, bis sie das Tal der Tränen endlich erreicht hatten.